Welchen Beitrag kann die Stahlindustrie leisten, um den CO₂-Ausstoß zu senken? „Grüner Stahl“ ist möglich, braucht aber noch Zeit und viel Entwicklung. Mit effizienten Verbrennungsprozessen lässt sich die Emission bereits heute reduzieren. Sauerstoff macht hier den Unterschied.
Wenn von der Industrie des 21. Jahrhunderts die Rede ist, denkt man zuerst an Mikroelektronik, smarte Kunststoffe und Biotechnologie. Damit solche Produkte entstehen können, müssen jedoch zunächst Rohstoffe gefördert, Energie erzeugt, Maschinen hergestellt, Lagerhallen gebaut und jede Menge Vor- und Zwischenprodukte – oft um die ganze Welt – transportiert werden. Die Ölplattform, die Gaspipeline, der Windradturm und die Wasserturbine, die Produktionsmaschine, das Hallengerüst, die Regale und das riesige Containerfrachtschiff bestehen hauptsächlich aus Stahl. Ebenso wie unsere Autos sowie die tragenden Elemente von Brücken und Wolkenkratzern. Die Stahlkocher liefern den wichtigsten Grundstoff für unsere moderne Welt.
Laut dem Branchenverband World Steel Association wurden 2022 weltweit 2,1 Milliarden Tonnen Stahl produziert, mehr als die Hälfte davon in China. Dabei wurden rund 3,6 Milliarden Tonnen Kohlendioxid ausgestoßen. Das entspricht rund neun Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen durch menschliche Aktivität. Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, ist die Dekarbonisierung der Stahlwirtschaft unabdingbar. Außerdem laufen die noch frei verfügbaren Emissionsrechte in Europa 2034 aus. Das kann bei den europäischen Stahlproduzenten aufgrund heutiger Zahlen einen Gewinneinbruch von rund 70 Prozent verursachen, falls sie bis dahin ihren CO₂-Ausstoß nicht drastisch reduziert haben.
Es gibt zwei grundsätzlich verschiedene Arten der herkömmlichen Stahlproduktion, die sich auch bei ihrem CO₂-Fußabdruck stark unterscheiden. Bei der primären integrierten Prozessroute entsteht der Stahl aus Erz und Koks im Hochofen. Der gesamte Durchlauf umfasst Kokerei, Sinteranlage, Hochofen, Konverter sowie die nachfolgenden Schritte Gießen und Umformen. Pro Tonne Rohstahl werden hier durchschnittlich 1,9 Tonnen Kohlendioxid freigesetzt. Der größte Anteil entfällt dabei auf den Hochofenprozess.
Die Sekundärroute verwendet statt des Hochofens einen elektrischen Elektrolichtbogenofen sowie Schrott statt Erz. Sie erzeugt mit 0,4 Tonnen CO₂ pro Tonne Rohstahl wesentlich weniger Emissionen. Diese entstehen außerdem zum größten Teil bei der fossilen Stromproduktion, die sich prinzipiell auf erneuerbare Quellen umstellen lässt.
Ist das Problem also gelöst, wenn man auf die Sekundärroute mit erneuerbarer Energie setzt? Leider nein. Zum einen gibt es nicht überall genug Schrott. In China etwa beträgt der Recycling-Anteil nur 10 Prozent. Zudem kann hochwertiger Flachstahl nur teilweise in der Sekundärroute erzeugt werden.
Seit Anfang 1970er Jahren gibt es mit der Direktreduktion (Direct Reduced Iron, DRI) aber eine dritte Prozessroute, die in einigen Ländern wie Indien bereits breitflächig eingesetzt wird. Sie hat in zahlreichen Pilotversuchen in den letzten Jahren bewiesen, dass die Erzeugung von für den Prozess notwendigen Synthesegas stufenweise auf reinen Wasserstoff umgestellt werden und in der Kombination mit dem Elektrolichtbogen-Verfahren die integrierte Primärroute ersetzen kann. Wenn der benötigte Strom aus erneuerbaren Quellen stammt, kann auf diese Weise die Emission bei der Stahlerzeugung fast auf null (Net-Zero Emission) gesenkt werden.
Die Verfügbarkeit elektrischer Energie, die ohne CO₂-Ausstoß entsteht, ist in fast allen zukünftigen Verfahren eine Grundvoraussetzung. Für die Dekarbonisierung gibt es mehrere Technologien, die sich derzeit in unterschiedlichen Entwicklungsstadien befinden und miteinander kombiniert werden können:
„Langfristig können wir die Dekarbonisierung mit grünem Stahl vollenden, doch vorerst ist er nicht mehr als ein Tröpfchen auf den heißen Stein“, erklärt Davor Spoljaric, Senior Vice President Applications bei Messer. „Um ihn in großen Mengen zu produzieren, müssen sowohl neue Technologien entwickelt werden als auch entsprechende Mengen grüner Wasserstoff zur Verfügung stehen. Auf beiden Feldern stehen wir noch am Anfang.“
Die EU hat schon vor Jahrzehnten erkannt, dass die Emissionen der Stahlindustrie in der Zukunft ein großes Problem darstellen werden. Sie initiierte gemeinsam mit der Stahlindustrie das Forschungsprojekt Ultra-Low CO₂ steel making (ULCOS). 2020 wurden im schwedischen Lulea erstmals Pellets aus „fossilfreiem Roheisen“ erzeugt. Dort steht die Pilotanlage des HYBRIT-Projekts, das als Joint Venture von Unternehmen der Stahl- und Energieindustrie betrieben wird. Dieser Probelauf der „Hydrogen Breakthrough Ironmaking Technology“ kann durchaus als ein erster Durchbruch gelten. Die Produktion in industriellem Maßstab soll 2026 beginnen; ab 2035 soll – wenn alles wie vorgesehen klappt – die neue Technologie Schwedens CO₂-Ausstoß um zehn und den Finnlands um sieben Prozent reduzieren. Damit genügend grüner Wasserstoff vorhanden ist, müssen aber gleichzeitig die Kapazitäten in der erneuerbaren Energieerzeugung sowie bei der Wasser-Elektrolyse massiv ausgebaut werden. Selbst wenn die Pläne aufgehen und andere Länder den skandinavischen Pionieren möglichst bald folgen, wird dieser Umbau noch Jahrzehnte dauern.
Der wichtigste Zwischenschritt ist durch die EU vorgegeben, die die europäischen Gesamtemissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 reduzieren will. Um dieses Ziel zu erreichen, soll die Stahlbranche ihre Emissionen um mindestens 30 Prozent senken. Nach Berechnungen der Boston Consulting Group müsste dafür bis dahin jeder dritte Hochofen durch eine Direktreduktionsanlage ersetzt werden, wie sie beispielsweise Thyssen-Krupp und Salzgitter im kommenden Jahr bauen wollen. In Österreich hat der Aufsichtsrat von Voestalpine im März 2023 grünes Elektrolicht für die ersten 1,5 Milliarden Euro an Investitionen gegeben, mit denen die klassische Stahlerzeugung in Österreich durch DRI und Elektrolichtbogenöfen (Greentec-Steel) ersetzt werden soll. In Europa sind heute 24 DRI-Projekte in Planung oder im Bau, mit einen Produktionspotential von 40-50 Millionen Tonnen Stahl und einen Energiebedarf von rund 400 Terawattstunden. Da bis 2030 ohnehin rund die Hälfte der heutigen Stahlerzeugungskapazitäten in Europa ihre Lebensdauer erreichen wird, ergibt sich mit der neuen H₂-DRI eine große Chance für klimafreundliche Reinvestitionen.
„Für die kurzfristige Reduzierung der CO₂-Emissionen müssen wir aber auch die bestehenden Prozesse und Technologien in den Blick nehmen“, betont Davor Spoljaric. „Dort gibt es ein beträchtliches Potenzial für Maßnahmen, die einen vergleichsweise geringen Aufwand erfordern und schnell umgesetzt werden können.“ Er verweist auf einen verstärkten Einsatz von Schrott in der Stahlproduktion und die Verbesserung der Energieeffizienz bei der Verbrennung. Der verstärkte Einsatz von Sauerstoff in Verbrennungsprozessen verspricht sowohl ökologische als auch ökonomische Vorteile. Die Brennstoff/O₂-Verbrennung ermöglicht einen sofortigen ersten Schritt zur CO₂-Reduktion und dient auch als Vorbereitung für die H₂/O₂-Verbrennung, sobald genügend Wasserstoff zu akzeptablen Preisen zur Verfügung steht. Sie wird seit Jahren – auch außerhalb der Metallurgie - in vielen Prozessen eingesetzt. Die Verwendung von Sauerstoff führt zu deutlich geringeren CO₂-Emissionen sowie zu einem kleineren Abgasvolumen mit höherer CO₂-Konzentration, die wiederum eine effizientere CO₂-Abscheidung erlaubt.
Diese Verfahren eröffnen Möglichkeiten, bei geringen Investitionskosten eine Brennstoffeinsparung von 20-60 Prozent zu erzielen und die CO₂-Emissionen der Stahlindustrie weltweit, um bis zu 200 Megatonnen im Jahr zu senken. Erste Versuche mit der Eindüsung von Wasserstoff in die Hochöfen haben ebenfalls ein beträchtliches Potenzial zur Verkleinerung des Fußabdrucks aufgezeigt: Mit 20-30 Kilogramm H₂ pro Tonne Stahl lässt sich eine Verringerung der CO₂-Emissionen um 10-15 Prozent erreichen.
„Wenn genügend grüner Wasserstoff zur Verfügung steht, kann sein Anteil in diesem Verfahren kontinuierlich gesteigert werden, was die Emissionen weiter sinken lässt“, erklärt Davor Spoljaric. „Als brennbare und reduktive Gase weisen Erdgas und Wasserstoff in der Handhabung große Ähnlichkeiten auf. Der Umgang mit ihnen gehört zum Kerngeschäft von Messer.“
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